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J.Maulbetsch

Blog: "Literatur - oder was man dafür halten kann"

Im Supermarkt des Lebens gehen wir Tag für Tag unseren Weg durch die Regale voller Waren. Bleiben hier und da stehen, schauen uns etwas genauer an und entscheiden uns dann, ob wir es gebrauchen können, oder nicht.
Das was du aus diesem Blog an Ideen gebrauchen kannst, nimm für dich mit. Alles andere lass getrost liegen.


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2019-03-04

Kurzgeschichte: Eine Krähe unter Pinguinen

Es begab sich zu jener Zeit in einem entfernten Land, dass ein Schmetterling sich mit sanften Flügelschlägen von einer Blüte erhob. Da die Winde sehr günstig standen, schaukelten sich die dabei entstandenen Luftbewegungen so sehr auf, dass am anderen Ende der Welt ein mächtiger Sturm loszubrechen begann und das Nest einer frisch gebackenen Krähenfamilie heftig durchschüttelte. Die starke Baumkrone ächzte unter der Last des herniederprasselnden Wassers und der Kraft des Windes, der Äste und Blätter zum Heulen brachte. Stoisch und doch besorgt, saßen die beiden frischen Eltern auf ihren Eiern und schützten sie vor dem gröbsten. Der kleine glucksende und quirlige Bach unter ihren Füßen war in den letzten Stunden zu einem reißenden Strom brauner Brühe angeschwollen, der allerlei Unrat mit sich in das weit entfernte Meer davon riss. Der Sturm wollte und wollte nicht aufhören und so geschah, was passieren musste und eine heftige Böhe traf das Geäst, in welchem das Nest verankert war und Mutterkrähe konnte gerade noch ihr eigenes Leben retten und mit diesem zwei der drei Eier. Das dritte ging im reißenden Strom verloren.
Das Ei verlor sich unbeschadet auf einem treibenden etwas, wie es Menschen für gewöhnlich im Wald entsorgten, wenn sie dieses nicht mehr haben wollen, oder brauchen können. Die Menschen wissen zwar, dass sie damit sich und der Natur schaden, doch aus einem unerfindlichen Grund, tun sie es dennoch immer wieder. Dieses eine Mal geschah es wohl aus gutem Glück, denn sonst hätte das Ei die Überfahrt aus dem Sturm und über den Fluss, niemals überleben können. Es rutschte dabei durch die dünne Haut etwas nach innen und kam in einer für das Ei günstigen Lage zum Stillstand. Während es mit seiner kleinen Insel den langen Weg in Richtung Meer antrat, hielten es die anlaufenden Gärprozesse im Inneren des stinkenden Sackes am Leben.
War die braune Brühe anfangs noch reißerisch und aufgewühlt, ging die tosende Suppe allmählich in einen fidel dahinfließenden und jungen Fluss über. Das Gewitter und mit ihm das einst quirlige Bächlein waren längst hinter sich gelassen, als vor dem außergewöhnlichen Schiff und seinem noch viel außergewöhnlichen Passagier, sich ein langer Weg offenbarte. Vorbei an kleinen Sandbänken die mit zunehmender Flussbreite größer wurden, trieb das ungewöhnliche Floß hinweg über Stromschnellen, die in zunehmendem Maße abnahmen. Einzig die von Menschenhand begradigten Strecken durchschnitten das sukzessive, mäandernde Band hier und da. Einige Male war Glück im Spiel, dass Schiff und Passagier die Stürze über so manche Staumauern wohlbehalten überstanden und so manches Mal half ein Mensch dabei, der sich die Landschaft nicht von so einem Haufen Unrat verschandeln lassen wollte.
Hier und da durchschnitt das Gewässer eine Stadt und ermöglichte es erst durch den Schnitt durch die Landschaft, die dortige Siedlung als Stadt erblühen zu lassen. Städte sind aus dieser Perspektive auch nicht viel anders als Bäume. Sie brauchen das Wasser um Nährstoffe an und abtransportieren zu können, halten die Menschen am Leben durch das kostbare Nass und kühlen hier und da an heißen Sommertagen. Wieder und wieder passierte das Schiff Brücken, welche die unüberwindlich scheinenden Ufer miteinander verbanden. Zum Glück war gerade Sommer, sonst hätte die wohl breiteste Brücke ein weiteres vorankommen für das kleine Schiff verhindert und es wäre wohl in der vereisten Borke des Flusses festgefroren. Doch das war dank der wärmenden Sonne und der Beweglichkeit des Wassers nicht der Fall und so geleitete es weiter und weiter über die Wellen, vorbei an neuen Einflüssen und menschlichen Abflüssen.
Auf der letzten Etappe vor dem großen Meer nahm der Verkehr an Schiffen stetig zu, welche in alle vier Richtungen Waren hin und her lieferten. Da das Floß mit der wertvollen Eierfracht so klein war, passte es Mühelos zwischen all den Kähnen hindurch und so kam es, dass es alsbald das Meer erreichte und das Ei sich langsam aber sicher immer mehr zu regen und bewegen begann. So trieb es vorbei an immer größer werdenden Häfen, bis die Wellen immer größer wurden und schließlich das offene Meer ankündigten.
Wie das Floß so auf dem Meer dahintrieb und das Ei langsam aber sicher zum Bersten gespannt war, zog ein Sturm auf und die Wellen trugen den Sack voll Müll und mit diesem das trächtige Ei weit auf das offene Meer hinaus. Wellen und Wind trieben das kleine Floß weiter und weiter, fort vom einst so sicheren Ufer und so weit hinaus, bis der Sturm es vollends verschlang. Irgendwo am anderen Ende der Welt spuckte es dieser wieder aus. Und so kam es, dass ein fideler junger in den Blüten seines Lebens stehender kleiner Vogel im herausgeputzten Frack, ein kleines und fiependes Küken fand. Es riss seinen gelben Schnabel weit auf, wie es auf einer merkwürdig riechenden Eisscholle inmitten eines windstillen Sommertages dahintrieb. Neugierig näherte sich der Schwarz-Weisse Vogel und tauchte zuerst darunter hinweg, um diese merkwürdige Eisscholle zu betrachten, die er nie zuvor gesehen hatte. Wie er auf diese sprang und landete, bewegte sich die gesamte Masse in derselben fließenden Bewegung wie das umliegende Wasser und verhielt sich gar nicht so starr wie der Vogel es gewohnt war. Er blickte sich um und entdeckte die Quelle des Fiepens, welches ihn erst hier her gelockt hatte. Erstaunt entdeckte dieser, dass sich ein Küken hierauf verirrt hatte. Schnell sprang der Pinguin ins Wasser und verschwand in der Tiefe. Das Küken, welches erst wenige Stunden zuvor geschlüpft war, verstand noch überhaupt nichts von alledem was um dieses herum geschah. Die Gärprozesse im Inneren des Müllsackes waren fast abgeschlossen und so hielten nur noch die Sonnenstrahlen das Küken in dieser klaren Kälte am Leben.
Durch das windstille Wetter trieb der Sack gemächlich vor sich in den Mittag hinein und es hatte fast den Anschein, als wolle dieser als letzter Akt des guten Willens, das Küken zur Beruhigung schaukeln. Waren sie zusammen soweit Intakt gekommen, begann doch für beide mit dem Mittag ihr gemeinsamer Niedergang. Wie die Sonne ihre Bahn in Richtung Horizont weiter fortsetzte, platschte es neben dem Sack und dieser wurde kräftig durchgeschaukelt. Das Küken machte einen kleinen Satz nach oben und landete direkt vor den Füßen eines Pinguins. Dieser schaute das sichtlich erschrockene Küken an, denn es war plötzlich sehr still. Der Pinguin begann zu würgen und holte einen mundgerecht zubereiteten Fisch aus seinem Magen hervor. Diesen hob er mit seinem weit geöffneten Schnabel dem Küken vor den seinen und wartete darauf, dass dieses zu picken begann. Doch nichts dergleichen passierte. Das Küken begann zu fiepsen und wollte nicht mehr aufhören, egal ob der Pinguin den Fisch vor die Füße des Kükens legte, oder erneut Schnabel an Schnabel hielt. Da wurde es dem Pinguin zu dumm und er drückte dem jungen Küken den Brei einfach in den offenen Schnabel, in der Hoffnung es wohl endlich verstummen zu lassen. In der Tat war das Küken auf einmal ganz still, doch sobald es geschluckt hatte, öffnete es diesen wieder und begann erneut zu fiepen. Der Pinguin verstand wie er es anzustellen hatte und platzierte erneut eine Ladung Fischbrei im Mund des Kükens. Dieses Spiel weiderholte sich noch einige Male, bis das Küken still in sich zusammensank und friedlich zu schlummern begann.
Die Sonne war in der Zwischenzeit schon ganz orange geworden und die Strahlen reichten gerade noch aus, das Küken zu wärmen. Der Pinguin verstand nicht so recht was ein Küken auf so einer merkwürdigen Scholle zu suchen hatte, doch er wusste, dass es hier nicht lange überleben würde. Für Pinguine ist es nicht ungewöhnlich, dass sie Kinder adoptierten, oder gar stahlen, deshalb erschien es ihm auch nicht fremd, das junge Küken unter seine Fittiche zu nehmen. Damit konnte er sich schon das ganze nervige Balzverhalten und gepose sparen, womit sich die anderen in seinem Alter die meiste Zeit leidenschaftlich beschäftigten. Die Kolonie war nicht weit und so sprang er mit einem sanften platschen ins Wasser und begann die merkwürdige Insel in Richtung Land zu schieben.
Langsam erwachte das Küken weil es allmählich immer heftiger zu zittern begann. Der Pinguin spürte dies und schwamm noch kräftiger die letzten paar Flossenschläge bis zum rettenden Ufer und zog das kleine Ding an Land, wo er dieses sogleich unter seinen flauschigen Federn zu wärmen begann. Mittlerweile hatte sich die Sonne in ein herrliches Rot verwandelt und erleuchtete den Himmel in klaren Farben die vom Horizont an von Rot, über Orange, Gelb bis hin zu einem unfassbar tiefen Blau reichten. In diesem Blau begannen die ersten funkelnden Sterne eine klare und klirrend-kalte Nacht anzukündigen. Der Pinguin nahm das Küken instinktiv auf seine warmen Füße und begann seinen Watschelgang in Richtung seiner Artgenossen, die sich zu einer großen Gruppe zusammengeschlossen haben, um die eisigen Temperaturen bei Nacht erträglicher zu machen.
Stoisch erwarteten die Individuen der Pinguinkolonie die ersten Strahlen der Sonne. Der Wind umstrich die Eisblumen, welche die Nacht  in Gesicht und Gefieder zum Blühen gebracht hatte. Noch konnten sie ihre Küken an diesem klaren Morgen nicht alleine lassen, dazu waren die wärmenden Strahlen noch zu schwach. Sie mussten bis zum Mittag warten und konnten die Zeit bis dahin mit Schnattern, Gefiederpflege und dem Umsorgen der Kleinen füllen. Als die Sonne stark genug war, um die flauschig geflügelten Küken warm halten zu können, begann sich nach und nach ein steter Strom in Richtung Meer zu bilden. Immer mehr Pinguine watschelten in Richtung Wasser, um für sich und ihre Küken Fische zu fangen. Nur ein Pinguin kehrte nach einigen kurzen Schritten um und betrachtete sein Küken etwas genauer. Beim Vergleich mit den anderen war diesem aufgefallen, dass dieses nur ein spärliches Federkleid besaß und kaum in der Lage war, lange alleine zu überleben. Er musste sich also beeilen, um es nicht zu verlieren.
Wie die anderen Küken ringsum, plumpste dieses wie die anderen auch, von Position zu Position, indem es mit Flügeln und Füßen unkoordinierte Bewegungen ausführte. Wie die Sonnenstrahlen über diese Szene hinwegstrichen und der Wind leise durch das Geschnatter der Großen und Gefiepse der Kleinen flüsterte, watschelt ein Pinguin daher. Er blieb vor dem kleinen verkümmert aussehenden kleinen stehen und blickte es eine Zeit lang an, bevor dieser seinen Kopf in die eine Richtung schief legte und es erneut betrachtete. Davon bekam das Küken nichts mit, da es voll und ganz damit beschäftigt war, mit geschlossenen Augen weiter seine Koordination in den Griff zu kriegen. Der Pinguin legte seinen Kopf auf die andere Seite und schaute dem kleinen einige weitere Momente zu. Wie dieser seinen Kopf zurück in die Gerade nahm, schüttelte dieser kurz seinen Kopf und das Nackengefieder, rückte hier und dort einige Federn mit dem Schnabel zurecht, richtete sich auf und watschelte davon. Nicht weit entfernt wiederholte sich die Szenerie, doch etwas war daran anders. Anstatt davon zu laufen, nahm dieser das wesentlich flauschiger und kräftiger wirkende Küken unter seine Fittiche und watschelte mitsamt dem kleinen davon und verlor sich im großen Gewatschel und Geschnatter der Kolonie.
Die wie Bewegungen interpretierbaren Muskelzuckungen pendelten sich allmählich zu einem immer stärker werdenden kollektiven Zittern des gesamten Organismus ein. Die Sonne war auch unaufhaltsam weiter dem Horizont entgegen gewandert und hatte die Schatten so unaufhaltsam näher an das Küken heranschleichen lassen. Das kleine zerzaust wirkende Häufchen war verstummt und schien sich ganz auf diese Bewegungen zu Konzentrieren die es wärmten. Wie es immer tiefer in sich zu versinken drohte, watschelten zwei Füße daher und ein flauschiges Unterkleid umschloss im nu das zitternde Küken. Die behütende Geborgenheit dämpften den Tumult um die beiden herum etwas ab und so bekam das Kleine auch nicht mit, wie ein Pinguin aufgeregt hin und her watschelte. Er schien irgendetwas zu suchen. Schaute hier und dort sich ein Küken genauer an, indem er mit seinem Gesicht und Schnabel nah an dieses heranging. In allen Fällen zuckte dieser aber wieder zurück, blickte sich erneut um und watschelte zum nächsten. Der Pinguin arbeitete sich so weiter durch Kolonie, von Küken zu Küken, doch immer wieder schreckte dieser zurück. Der Pinguin verlor sich in der Menge, die mit zunehmendem Absinken der Sonne größer und größer wurde. Als die Sonne schon Orange geworden war, öffnete ein Pinguin in dieser Kolonie sein Unterkleid und ein fiependes Küken in einem dürftigen Federkleid stand direkt vor ihm. Er beugte sich mit dem Schnabel nach unten und fütterte dieses mit dem eigens zubereiteten Fischbrei, bis dieses aufgehört hat mit fiepen und sich in das Unterkleid zurück verkroch. Mit Einsetzen des immer roter werdenden Horizontes, begannen die Pinguine immer mehr, sich allmählich in einem meditativ anmutenden Gewatschel zu einer großen Gruppe zusammen zu formen, um gemeinsam die kalten Schatten der Nacht zu überstehen.
Die kommenden Tage verliefen nicht arg viel anders. Das einzige was sich änderte waren die Küken, welche zusehends größer und flauschiger wurden. Alle bis auf eines, denn dieser merkwürdige Vogel unter Vögeln, sah kümmerlicher aus, grober, kantiger und lebhafter als die anderen großgewachsenen Daunenknäule. Wie die Tage dahingingen, traten nach und nach deutlicher Muster zu Tage und so kam es, dass Tagelang derselbe Pinguin suchend umher streifte, bis er eines Tages verschwunden war und das Augenmerk frei für die anderen, wenn auch vereinzelt auftretenden, Suchenden war. Wie es dunkel wurde, strömten die watschelnden Füße und auf ihnen die getragenen Küken, auf den altbekannten Flussbetten dem großen sozialen Meer entgegen. Alle waren ein Teil davon und ein Teil davon war auch in all jenen, die ein Teil von Allem waren. Allerdings waren einige mehr ein Teil von Allem als andere. Diejenigen welche in der Mitte der Gesellschaft standen und sich von allen anderen rund herum wärmen ließen, sah man nie in den äußeren Bereichen stehen. Um sie herum hatten sich ausgeklügelte Systeme entwickelt, welche es diesen ermöglichte, niemals ihre Vorteilhafte Position verlassen zu müssen. Das dynamische System aus chaotischen Bewegungen, welches erst die starren Strukturen der Ordnung sichtbar machte, entwickelte sich zwischen den Ästen dieser privilegierten Vögel.
Je weiter sich das Vögelchen von der Norm des Zentrums entfernte, desto weiter mussten auch die Füße seines Trägers das Zentrum der Ordnung verlassen und bis in die Außenbezirke des kalten Chaos zurückweichen. Während die anderen Küken sich zu prächtig gefiederten Pinguinen entwickelt haben, war ein Küken ein pechschwarzes, vergleichsweise kleines, krächzendes Etwas geworden, welches das Wasser scheute und weder die Dunkelheit der Nacht, noch den nahrungsreichen Tag nicht alleine Überstehen konnte.
Eines Tages, als die ausgewachsenen Küken die ersten Schwimmversuche tätigten und alle Richtung Meer watschelten, blieb ein junger Pinguin stehen und schoss wie vom Blitz getroffen in die entgegengesetzte Richtung auf die Wüste aus Eis und Schnee zu. Hastig, mehr Rasend als Watschelnd, die tabsigen Schritte sich überschlagend über Steine, Schnee und Eis. Vorbei an den anderen und schnurstracks auf den Weg des einzigen Vogels zu, welcher nur ein einziges Mal in Richtung Meer gezogen war. Voller Schreck vor so viel schnell näher kommender Entschlossenheit das Leben zu überwinden, blieb dem kleinen Vogel nichts anderes übrig als zur Seite zu hüpfen. Wie sich die Wege der beiden kreuzten erhob sich der eine in die Lüfte, während der andere Vogel mit der Einsamkeit in den Weiten aus Eis und Schnee zu verschmelzen begann.
Völlig erstaunt über die Fähigkeiten seiner unförmigen Flossen und seines leichten Körperbaus, genießte der pechschwarze Vogel diese wundervolle Erkenntnis. Wie er Aufstieg in den blauen Himmel und mit diesem zu verschmelzen begann, konnte dieser das Getümmel unter ihm aus einer nie dagewesenen Perspektive betrachten. Mit einem Male erschloss es sich diesem seltsamen Vogel, wieso dieser eine voller Mut in Richtung Eiswüste strebte, während all die ängstlichen Vögel sich um ihren Platz in den anerkannten Positionen drängten. Von hier oben konnte beobachtet werden, wie einige nicht einmal zum gefährlichen Meer gingen und selbst fischten, sondern es sich bringen ließen, um anschließend auch die kalte Nacht im warmen und geborgenen Zentrum zu verbringen. So viel Angst, so viel soziale Kälte inmitten körperlicher Wärme, das war nicht einmal hier oben auszuhalten.
Beim Landeanflug auf seinen Platz in der Gesellschaft konnte er bereits seine tragenden Füße vom Meer zurückkommen sehen. Wie er gelandet war, erkannte der Pinguin voller erstaunen, was für einen einmaligen Vogel dieser an jenem Tag auf diesem merkwürdigen Floß gefunden hatte. Vor lauter Aufregung begann er zu schnattern und sich sichtlich zu freuen. Fast vergaß er dabei, den kleinen Vogel, welcher sich für den Leser als Rabe entpuppte, zu füttern.
Diese Nacht verbrachten die beiden Alleine und Außerhalb der großen Gesellschaft, da es niemand mit diesem unbehaglich scheinenden Paar zu tun haben wollte. Sie waren so weit außerhalb der Norm, dass die beiden die volle Kälte der nächtlichen Schatten zu spüren bekamen. So waren sie am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang am Zittern und wagten es nicht sich von der Stelle zu bewegen, sondern tankten genug Sonne, um sich auf den Weg in Richtung Meer zu begeben.
Wie sie am Meer ankamen, erhob sich einer in die Lüfte, während der andere ins Wasser sprang und den Rufen und Gesten des anderen folgte. Die beiden hatten genug Zeit gehabt in der letzten kalten und schlaflosen Nacht, sich darüber auszutauschen wie sie genug Fische fangen konnten, um die Nacht zu überstehen. So kam es, dass dieser eine Vogel mehr Fische fangen konnte als all die besten an diesem Tag zusammen. Leider nutzte es wenig und so war auch diese Nacht von Schlaflosigkeit und Kälte geprägt.
Ermattet durch die Müdigkeit hielt sich der Erfolg bei Tag in Grenzen und die sich ankündigende Nacht verhieß nichts Gutes. Die Dämmerung war bereits angebrochen und langsam watschelten die beiden in Benutzung der sozialen Flussbetten auf das große Meer an Individuen zu. Doch wie sie näher kamen machten sich einige Pinguine bereit, die beiden zu vertreiben und stellten sich ihnen in den Weg. Ohne großes zögern schwang sich die Krähe in die Lüfte, pickte in einem eleganten Himmelstanz denjenigen bei ihren Sturzflügen auf dem Kopf herum, welche den großen Vogel nicht passieren lassen wollten. Die anderen waren so erstaunt, verängstigt und machtlos, dass diese den Pinguin bis ins Zentrum watscheln ließen, wo die beiden in Ruhe die Nacht durchschlafen konnten.
Am darauf folgenden Tag konnten die beiden alle Privilegien genießen, welche diesem höchst ungleichen, aber dennoch zentral stehenden Paar in dieser bizarren Gesellschaft zustand. Ihr Gefieder wurde gehegt und gepflegt, es wurde reichlich zu Essen gebracht, so dass sie weitere Fütterungsavancen gegen Mittag ablehnen mussten und so die Gefiederpfleger noch etwas vom Fischkuchen abbekamen. Bis zur Nacht war noch ein bisschen Raum für einen Flug über das Gewatschel des Tages und so erhob sich die Krähe in die Lüfte. Was diese dabei erblickte war, dass viele mit den jüngsten Umwälzungen nicht zu Recht kamen und einige keinen anderen Ausweg mehr sahen, als sich in Richtung Eiswüste auf den Weg zu begeben. Sie konnten es einfach nicht aushalten, vom Zentrum  in die Peripherie geworfen zu werden. Sie hatten niemals für sich selbst sorgen müssen. Das taten immer die anderen für sie. Bei Anbruch der Nacht kehrte die Krähe zurück unter das wärmende Federkleid des Pinguins und verbrachte dort eine wohl behütete, aber dennoch unruhige Nacht voller Gedanken.
Am darauffolgenden Morgen bei Anbruch der Wanderschaft zum Jagen im Meer machte sich eine Unruhe breit, welche den Tag über weiter vor sich hin gehrte. Das ungleiche Paar im Zentrum der Gesellschaft konnte die Stimmung sehr gut spüren und wussten instinktiv, dass etwas getan werden musste. Um sich herum beobachteten sie, wie die anderen diese Probleme lösten indem diese zum Beispiel alte Pinguine aufsuchten, welche ihnen eine Absolution für ihr schlechtes Gewissen erteilten, indem sie diesen das gaben was die einzelnen Pinguine brauchten, um ihre emotionalen Wellen zu brechen. Die einen brauchten einen einstudierten Tanz und Zeremonie, anderen reichte schon das Zuhören aus, wieder andere und das war die große Mehrheit, bestand darauf, dass ein Witz das schlechte Gewissen auflockerte und diese es fortlachen konnten. Aber keinem der Pinguine kam es in den Sinn etwas Praktisches zu Unternehmen, etwas das an der sozial versteiften Situation etwas ändern würde. So hob sich die Krähe in die Lüfte, flog und flog, überschaute die Kolonie und sah, dass sich einige an den Rand gedrängte Pinguine zusammenzurotten begannen. Die Krähe begriff, segelte herab und griff nach Steinen. Sie flog ins Zentrum und wieder hinaus, sie flog zu ihrem Gönner und wieder zu den Steinen, bis sich langsam aber sicher ein Muster vor dessen Füßen abzuzeichnen begann. Da sah der Pinguin was die Krähe für eine Idee hatte und wusste auch wie er diese umzusetzen in der Lage war. Die Krähe zeigte dem Pinguin eine Spirale, eine Spirale, welche keine Spirale, sondern ein Kreis ist. Ein Kreislauf, bei welchem die eine Hälfte der Pinguine in das Zentrum strebt, während die anderen aus dem Zentrum ihnen entgegengesetzt, nach Außen watscheln. Außen angekommen schließen diese den Kreis, indem sie sich wieder auf den Weg nach innen begeben. Eine dynamische Struktur, ohne Struktur, die es der Kolonie so ermöglichte, dass alle von der Wärme aller profitieren und vor allem diese durch ihre Zeit außerhalb, zu schätzen wissen lernen..
Der Pinguin wusste was zu tun war und gab der Krähe ihre Aufgabe zu verstehen. Bis zur Nacht war noch ein bisschen Raum zwischen Sonne und Erde und so machte sich der Pinguin auf den Weg inmitten der Zentren in denen es gehrte. Dort führte dieser jedes Mal Bewegungen aus, welche die Stimmung der kleinen Gruppe zum Überlaufen brachte. Bis zum Abend war so ein brodelnder Kessel voller innerlich kochender Pinguine entstanden. Diese hatten nur ein Ziel: Den nervigen Pinguin und seine Krähe aus ihrer Mitte zu vertreiben, koste es was es wolle. Als es frühe Nacht geworden war, machten sich viele kleine Grüppchen auf den Weg, wuchsen zu einer immer größeren Masse an und watschelten auf das Zentrum zu. Pinguine schlossen sich auf dem Weg der Masse an, andere gingen zur Seite. Meistens schlossen sich diejenigen der Gruppe an, welche zuvor aus dem Zentrum geworfen wurden und sich so aus der kalten harten Welt zurück in die wohlig umsorgte Mitte der Gesellschaft katapultieren wollen. Als die Krähe das sah, stieg sie in den Himmel auf und kreiste über dem Pinguin im Zentrum, auf welchen sich die Gruppe wie näherkommende Schatten zubewegte. Noch blieb dieser stehen und sobald die Krähe diesem ein krächzendes Signal gab, begann sich dieser zu bewegen. So schnell er watscheln konnte, watschelte dieser los und alsbald begannen seine Verfolger ebenfalls zu beschleunigen und die Gruppe zog sich allmählich in die Länge. Dabei ließ der Pinguin nie die Krähe aus dem Blick, die alsbald eine Kurve zu fliegen begann. Der Pinguin und mit ihm all seine Verfolger, brachen wie ein breiter Strom inmitten der Kolonie herein und es begann ein großes Chaos loszubrechen, welches sich stark von den gleichmäßigen Kreisbewegungen der Krähe unterschied. Die Verfolger konnten den Pinguin nicht einkreisen und umstellen, jagten diesen deshalb weiter und weiter, wieder andere stellten sich auf die Seite des Pinguins und drängten die anderen fort. Langsam aber sicher watschelte der Pinguin in größer werdenden Kreisbahnen aus dem Zentrum heraus auf die Peripherie zu und sog einen Strom aus Verfolgern hinter sich mit. Sobald draußen am Rand eine Runde abgeschlossen war, machte dieser sich wieder auf den Weg nach innen. Sobald ein Verfolger zu nahe kam, griff die Krähe ein, so dass sich ungestört aus dem Chaos eine Ordnung herauskristallisieren konnte und bis zum Morgengrauen eine abgekühlte und gemächlich dahinwatschelnde Bewegung entstanden war. Eine Bewegung, welche es jedem Pinguin einmal ermöglichte, die Wärme des Zentrums zu tanken, um dann weit draußen am Rand der Peripherie die anderen vor dem beißenden Wind schützen zu können. Allmählich begannen die Vögel im Frack zu verstehen, watschelten allesamt von den Strapazen der jagenden Prozession mitgerissen, stetig und gemächlich voran und keiner blieb stehen.
Mit dem Aufgang der Sonne löste sich allmählich der Spuk auf und ein neuer Morgen begann. Die Pinguine machten sich wie eh und je auf den Weg zum Meer und weniger als sonst blieben zurück. Die zurückgebliebenen kümmerten sich um die soziale Gefiederpflege und die Jungen, während die Krähe über ihnen kreiste und das Schauspiel aus der Ferne betrachtete.     
Wurde es Abend, begann allmählich die Prozession von Neuem und ein neues Spiel wurde in jener Nacht geboren, eine neue Kultur wurde aus der Taufe gehoben. Eine Kultur, welche nie dagewesene Gerechtigkeit hervorbrachte und gleichzeitig den Grundstein für eine neue Ungerechtigkeit legte, welche bisher nicht einmal in den subtilsten Ausläufern zu erkennen war, so dass es viele Morgen und Generationen benötigen wird, bis ein neuer meisterlicher Funke eine neue Idee zum Zünden bringen wird. Doch das liegt in so weiter Ferne die so offen wie die Eiswüste ist, welche mit zunehmendem fortschreiten der Tage, immer weniger einsame Besucher aus der Pinguinkolonie erhält.

Admin - 10:15:40 | Kommentar hinzufügen